Martin Schuster
Seminararbeit Designgeschichte: Frei Otto

Inhaltsverzeichnis
Einleitung, Lebenslauf Frei Ottos
Technische Grundlagen
Projekte Frei Ottos und des Instituts für Leichte Flächentragwerke
Literaturverzeichnis

 

2. Technische Grundlagen


Zum Verständnis der Funktionsweisen der von Frei Otto angewandten Konstruktionen sind einige technische Grundbegriffe notwendig, die im Folgenden kurz erklärt werden.
Das hängende Dach ist eine zwischen festen Punkten gespannte dünne Membrane, die gleichzeitig Dachkonstruktion und Dachhaut ist. Der Urtyp dieser Dächer ist das Zelt, das sich seit langer Zeit auch als dauerhafte Behausung bewährt hat. Es gibt zwei Typen hängender Dächer, die den entsprechenden Hängebrücken in ihrer Bauweise sehr ähnlich sind:

-Eine starre Fahrbahn / ein starres Dach hängt an Tragseilen:

Bei dieser Bauweise muß das Dach in sich steif sein, um sich durch Wettereinflüsse nicht zu verformen. Es ist daher schwer und kompliziert zu bauen, die tragende Konstruktion ist sehr aufwendig. In dieser Bauweise wurde z.B. die Golden Gate Brücke in SanFrancisco und ein Pavillon zur Weltausstellung 1933 in Chicago mit einem Durchmesser von 60 m gebaut.

-Eine flexible Fahrbahn / ein flexibles Dach hängt zwischen Trag- und Spannseilen:

Diese Konstruktion ist der ersteren überlegen, denn hier wird die Stabilität der Fahrbahn oder des Daches durch sich gegenseitig belastende, in verschiedene Richtungen gekrümmte Bauteile erreicht. Die gesamte Konstruktion steht unter Spannung und ist so resistent gegen Wind, Regen und Schnee. Frei Ottos Bauwerke funktionieren zum Großteil nach diesem Prinzip:

Zugbeanspruchte Konstruktionen brauchen also in sich keine Steifigkeit zu besitzen und können daher leicht und einfach konstruiert sein. Für Dächer besonders geeignet sind dabei gekrümmt vorgespannte Gebilde. Hierbei wird durch Vorspannung des Materials in verschiedene Richtungen eine dünne Membrane besonders steif. (Als unter Vorspannung bezeichnet man eine Haut, wenn sie im gewichtslosen Zustand unter Spannung steht.) Zirkuszelte werden in der Regel so gebaut.
Zu den zugbeanspruchten Konstruktionen gehören auch Seilnetze, die genauso reagieren wie eine geschlossene Haut. Spannt man deren Seile so, daß an jedem Seilende die gleiche Kraft auftritt, so erhält man die „Grundform“, die Minimalfläche, die die optimale, stabilste und sicherste Form darstellt.

Frei Otto entwickelte zur Findung dieser Minimalfläche verschiedene Seifenhautversuche, da sich diese Form mathematisch kaum erfassen läßt, Seifenhäute sie aber automatisch darstellen. Dazu wird ein Rahmen, der den architektonischen Anforderungen des späteren Bauwerks entspricht, in Seifenlauge getaucht. Nimmt man ihn wieder heraus, so bleibt innerhalb des Rahmens eine Seifenhaut bestehen, die, von ihrem geringen Eigengewicht abgesehen, die später möglichst exakt zu realisierende Dachform darstellt. Die Seifenhaut wird vermessen und maßstabsgerecht auf Netze oder Stoffe übertragen.
Schon Ende des 19. Jahrhunderts hatte auch Antoni Gaudí ähnliche Methoden zur Findung einer stabilen Form seiner Bauwerke durch Experimente verwendet. Da er druckbeanspruchte Bauwerke schuf war seine Methode allerdings eine andere. Er hing Ketten oder Schnüre mit kleinen Gewichten an Haken, die in ihrer Anordung dem späteren Standpunkt der Säulen und Stützkonstruktionen entsprach. Eine Fotografie der Anordnung, um 180 Grad gedreht, zeigte dann den optimalen Formverlauf z.B. eines Gewölbes. Erstmals verwendete Gaudí diese Methode für die Planung der Kapelle der Siedlung Güell und später bei der Sagrada Familia (vgl. 3, S. 84ff). Auch Frei Otto experimentierte mit der Hängemethode zur Planung einiger druckbeanspruchter Konstruktionen, wie z.B. der Multihalle in Mannheim (1975).
Später beschäftigte sich Otto viel mit einer Sonderform der zugbeanspruchten Konstruktionen, den Pneus. Auch bei diesen, meist kuppelartig geformten Gebilde steht das Material unter Zugbelastung, da durch den im Inneren aufgebauten höheren Luftdruck wiederum eine Vorspannung erzeugt wird, die für Stabilität sorgt.
Allen Konstruktionen ist gemein, daß gezieltes Entwerfen nur selten möglich ist, da die Idealform physikalisch vorgegeben ist. Doch gerade diese naturgegebene Form innerhalb des vom Architekten vorgegebenen Rahmens gibt den zugbeanspruchten Konstruktionen ihre besondere ästhetische Anmutung.

 

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Einleitung, Lebenslauf Frei Ottos
Technische Grundlagen
Projekte Frei Ottos und des Instituts für Leichte Flächentragwerke
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© Copyright 1997 by Martin Schuster